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Jeans wollte sie kaufen. Aber vielleicht sollte sie doch lieber Bьcher nehmen? Eigentlich wollte sie eine Hose und eine Bluse. Sie hatte schon lange keine Hose mehr gehabt. »Hosen will ich nicht nдhen«, hatte die Schmidhuber gesagt. »Das lohnt sich nicht. Hosen muss man kaufen.«

»Eva, dir passen sowieso keine. Nimm lieber ein Kleid«, war die Meinung der Mutter. »Ein Faltenrock, oben eng, dann mit Springfalten, das ist gьnstig fьr dich. Und mцglichst dunkel. Helle Farben tragen auf.«

Eva, aus Angst vor dem Gelдchter, aus Angst vor dem Probieren, aus Angst vor der Erfahrung, dass ihr wirklich nichts passen wьrde, hatte genickt und wieder einen neuen Rock bekommen.

»Fьr mich ist es schwer, etwas zu finden«, sagte sie zu Franziska.

»Macht nichts. Ich habe Geduld, viel Geduld. Meine Mutter ist auch schwierig, aber sie mag es, wenn ich mitgehe. Sie sagt, ich kцnnte gut beraten.«

»Vielleicht kaufe ich aber auch Bьcher.«

»Fьr hundert Mark?«

Sie fuhren mit der StraЯenbahn in die Stadt. Franzis­ka wusste einen kleinen Laden, einen ganz guten, sagte sie, dort wьrden sie bestimmt etwas finden.

»Was fьr eine GrцЯe hast du?«, fragte Eva in das Rattern der StraЯenbahn hinein. »Ich meine, in inch.«

»Neunundzwanzig oder achtundzwanzig, das kommt auf die Firma an.«

»Ich habe vierunddreiЯig oder sechsunddreiЯig«, sagte Eva.

»Was hast du gesagt?«

DrauЯen auf der StraЯe hдmmerte ein Pressluftboh­rer, bohrte Lцcher in den Asphalt, riss breite Rinnen in die StraЯe.

»Ьberall diese Baustellen«, sagte Franziska. »Man versteht ja sein eigenes Wort nicht mehr.«

Einmal war Eva in einen Jeans-Laden gegangen, hatte aufgeregt und beschдmt probiert.

»Wenn Ihnen vierunddreiЯig inch zu klein ist, pro­bieren Sie doch mal sechsunddreiЯig inch.«

Die Verkдuferin hatte mit einer zweiten Verkдuferin geredet. Eva, in der Kabine, hatte sie nicht verstehen kцnnen, so leise hatten sie geredet. Sie hatte nicht ge­wusst, worьber sie lachten. Eva hatte in der Kabine ge­standen, einen orangefarbenen Vorhang im Rьcken, vor dem Spiegel hatte sie gestanden und versucht, die Jeans zuzukriegen, und drauЯen das Lachen der Ver­kдuferin, der sicher die GrцЯe neunundzwanzig passte, einer, die nicht vierunddreiЯig oder sechsunddreiЯig probieren musste. Neunundzwanzig inch. Wenn Eva das jemals erreichen kцnnte! Sie hatte in der Kabine gestanden, Orange war wirklich keine Farbe fьr sie, wem stand ьberhaupt Orange, und hatte mit vor An­strengung gerцtetem Gesicht versucht, den ReiЯver­schluss zu schlieЯen. Es ging nicht. Er klemmte. Aber sie wagte nicht, die Verkдuferin zu rufen, die mit der GrцЯe neunundzwanzig, vielleicht hatte sie sogar acht-undzwanzig, um sie zu bitten, ihr zu helfen beim SchlieЯen.

Dann war sie zur Kasse gegangen, hatte die Jeans, die vierunddreiЯiger, auf die Theke gelegt und gesagt: »Ich nehme die.« Sie hatte bezahlt und war gegangen. Warum hatte sie das gemacht? Neunundsechzig Mark fьr nichts, fьr eine Hose, die ihr zu eng war, die sie nie anziehen konnte, nur weil sie sich schдmte zu sagen: »Sie passt mir nicht.«

Wie wьrde es mit Franziska sein?

Der Laden war wirklich ziemlich klein. Eva wдre lieber in einen grцЯeren gegangen, in einen, in dem sie nicht so aufgefallen wдre, eine Kundin unter vielen, nicht jemand, den man besonders beachtet. Aber Fran­ziska schien sich hier wohl zu fьhlen. »Hier habe ich schon oft eingekauft«, sagte sie. »Hier kauf ich gern. Die haben tolle Sachen.«

»Das Hemd hier gefдllt mir«, sagte Eva. Das Hemd war rosa.

»Kauf es dir doch.«

»Ich mцchte eine Jeans, eine blaue«, sagte Eva zu der Verkдuferin. Und sie dachte: So eine helle Hose wьrde mir viel besser gefallen. So eine ganz helle. Und dazu das rosa Hemd! Schade.

Sie stand in der Kabine und bemьhte sich verzwei­felt, den ReiЯverschluss zuzumachen. Es ging nicht.

»Na, was ist?«, fragte Franziska von drauЯen.

»Zu klein.«

Franziska brachte die nдchste Hose. Noch eine. Sie hob den Vorhang zur Seite und kam herein.

»Hier, probier mal.«

»Aber die ist viel zu hell«, sagte Eva. »So helle Far­ben machen mich doch nur noch dicker.«

»Ach was. Helle Farben stehen dir sicher viel besser als das ewige Dunkelblau oder Braun.«

Eva wagte nicht zu widersprechen. Sie hoffte, Fran­ziska wьrde hinausgehen, wьrde nicht zusehen, wie

Eva sich in die Hose quetschen musste. Aber Franziska ging nicht. Sie blieb auf dem Hocker sitzen und schaute zu.

»Die Farbe der Hose passt zu deinen Haaren«, sagte sie.

»Genierst du dich nicht mit mir?«, fragte Eva.

»Wieso?«

»Weil ich so dick bin.«

»Du spinnst«, sagte Franziska. »Wieso soll ich mich da genieren? Es gibt halt Dьnne und Dicke, na und?«

Der ReiЯverschluss ging zu, ein bisschen schwer, aber er ging.

»So muss es sein«, sagte Franziska. »Wenn du sie weiter nimmst, hдngt sie morgen schon wie ein Sack an dir.«

Die Farbe der Hose passte wirklich gut zu ihren Haaren. Sie war so hell wie ihre Haare am Stirnansatz. Franziska kam mit dem rosafarbenen Hemd zurьck. »Hier, zieh an.«

Dann stand Eva vor dem Spiegel, erstaunt, verblьfft, dass sie so aussehen konnte, so ganz anders als im blauen Faltenrock. Ganz anders als in den unauffдlli­gen Blusen. Ьberhaupt ganz anders.

»Schцn ist das«, sagte Franziska zufrieden. »Ganz toll. Die Farben sind genau richtig fьr dich.«

Dunkle Farben strecken, helle tragen auf. »Ich bin zu dick fьr so etwas. Findest du nicht, dass ich zu dick bin fьr solche Sachen?«

»Finde ich nicht«, sagte Franziska. »Mir gefдllst du so. Und was soll's! Im dunklen Faltenrock bist du auch nicht dьnner. So bist du nun mal. Und du siehst wirklich gut aus. Schau nur!«

Und Eva schaute: Sie sah ein dickes Mдdchen, mit dickem Busen, dickem Bauch und dicken Beinen. Aber sie sah wirklich nicht schlecht aus, ein bisschen auffдl­lig, das schon, aber nicht schlecht. Sie war dick. Aber es musste doch auch schцne Dicke geben. Und was war das ьberhaupt: schцn? Waren nur die Mдdchen schцn, die so aussahen wie die auf den Fotos einer Mo­dezeitschrift? Worte fielen ihr ein wie langbeinig, schlank, rassig, schmal, zierlich. Sie musste lachen, als sie an die Frauen auf den Bildern alter Meister dachte, voll, ьppig, schwer. Eva lachte. Sie lachte das Mдdchen im Spiegel an. Und da geschah es.

Das Fett schmolz zwar nicht, es war ganz anders, als sie erwartet hatte, dass es sein wьrde, kein stinkender Fettbach floss in den Rinnstein, eigentlich geschah nichts Sichtbares, und trotzdem war sie plцtzlich die Eva, die sie sein wollte. Sie lachte, sie konnte nicht mehr aufhцren zu lachen, lachte in Franziskas erstaun­tes Gesicht hinein und sagte, wдhrend ihr das Lachen fast die Stimme nahm: »Wie ein Sommertag sehe ich aus. So sehe ich aus. Wie ein Sommertag.«

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