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Sie цffnete die Nachttischschublade. Es stimmte, da war wirklich noch eine Tafel Schokolade. Sie lieЯ sich wieder auf das Bett fallen und wickelte mit behutsa­men Bewegungen die Schokolade aus dem Silberpapier. Es war ein Glьck, dass ihr Zimmer nach Osten lag. Die Schokolade war weich, aber nicht geschmolzen. Sie brach einen Riegel ab, teilte ihn noch einmal und schob sich die beiden Stьckchen m den Mund. Zartbit­ter! Zart-zдrtlich, bitter-bitterlich. Zдrtlich streicheln, bitterlich weinen. Eva steckte schnell noch ein Stьck in den Mund und streckte sich aus. Die Arme unter dem Nacken verschrдnkt, das rechte Knie angezogen und den linken Unterschenkel quer darьber gelegt, lag sie da und betrachtete ihren nackten linken FuЯ. Wie zier­lich er doch war im Vergleich zu ihren unfцrmigen Waden und Oberschenkeln. Sie lieЯ den FuЯ leicht auf- und abwippen und bewunderte die Form der Ze­hennдgel. Halbmondfцrmig, dachte sie.

Ihre Mutter hatte dicke Ballen an den FьЯen, breite PlattfьЯe hatte sie, richtig hдssliche FьЯe, mit nach der Mitte eingebogenen Zehen. Eva ekelte sich vor den Fь­Яen ihrer Mutter, vor allem im Sommer, wenn die Mutter Riemensandalen trug und die rцtlich verfдrbten

Beulen seitlich zwischen den schmalen Lederriemchen herausquollen.

Eva griff wieder nach der Schokolade. Leonard Co­hen sang: »She was takmg her body so brave und so free, if I am to remember, it's a fine memory.« Auto­matisch ьbersetzte sie in Gedanken: Sie trug ihren Kцrper so tapfer und frei, wenn ich mich erinnern soll: Es ist eine schцne Erinnerung.

Der Geschmack der Schokolade wurde bitter in ih­rem Mund. Nicht zartbitter, sondern unangenehm bit­ter. Herb. Brennend. Schnell schluckte sie sie hinuner. Ich dьrfte keine Schokolade essen. Ich bin sowieso viel zu fett. Sie nahm sich vor, zum Abendessen nichts zu essen, auЯer vielleicht einem kleinen Joghurt. Aber der bittere Geschmack in ihrem Mund blieb. »She was ta-king her body so brave and so free!« Sie, die Frau, von der Leonard Cohen sang, hatte sicher einen schцnen Kцrper, so wie Babsi, einen mit kleinen Brьsten und schmalen Schenkeln. Aber wieso nannte er sie dann tapfer? Als ob es tapfer wдre, sich zu zeigen, wenn man schцn war!

»Du bist wirklich zu dick«, hatte die Mutter neulich wieder gesagt. »Wenn du so weitermachst, passt du bald nicht mehr in normale GrцЯen.«

Der Vater hatte gegrinst. »Lass nur«, hatte er gesagt, »es gibt Mдnner, die haben ganz gern was in der Hand.« Dazu hatte er eine anzьgliche Handbewegung gemacht.

Eva war rot geworden und aufgestanden.

»Aber Fritz«, hatte die Mutter gesagt, »mach doch nicht immer solche Bemerkungen vor dem Kind.«

Das »Kind« hatte wьtend die Tьr hinter sich zuge­knallt.

Die Mutter war ihr in das Zimmer nachgekommen. »Sei doch nicht immer so empfindlich, Eva. Der Vater meint das doch nicht so.«

Aber Eva hatte ihr nicht geantwortet. Sie hatte wort­los und demonstrativ ihre Schulsachen auf dem Schreibtisch ausgebreitet. Die Mutter hatte noch eine Weile unschlьssig an der Tьr herumgestanden und war dann gegangen.

Mдnner haben ganz gern was in der Hand, dachte Eva bцse. Als ob ich dazu da wдre, damit irgendein Mann was in der Hand hat.

Sie machte den Kassettenrecorder aus. Leonard Co-hens Stimme verstummte.

Eva war unruhig. Sie stand unschlьssig in ihrem Zimmer und blickte sich um. Lesen? Nein. Aufgaben machen? Nein. Klavier spielen? Nein. Was blieb ei­gentlich noch? Spazieren gehen. Bei der Hitze! Viel­leicht doch noch schwimmen? Das war bei diesem Wetter keine schlechte Idee. Trotzdem war sie noch unentschlossen. Einerseits war das Wasser schon ver­lockend, aber andrerseits genierte sie sich immer im Badeanzug. Einen Bikini trug sie nie.

Im Mai hatte sie sich einen Badeanzug gekauft, einen

ganz teuren. Vater hatte eine Gehaltserhцhung bekom­men. Vergnьgt hatte er seine Brieftasche herausgezo­gen, schweinsledern, naturfarben, ein Weihnachtsge­schenk von der Oma, und Eva einen Hunderter in die Hand gedrьckt. »Da, kauf dir was Schцnes.«

»Einen Badeanzug«, hatte die Mutter gesagt. »Du brauchtest einen Badeanzug.«

Eva stand am nдchsten Tag in der Kabine, ganz dicht vor dem Spiegel, und hдtte am liebsten vor Verzweif­lung geheult. She was taking her body so brave and so free. Eva hatte Angst gehabt, die Verkдuferin kцnnte den Vorhang zur Seite schieben und sie so sehen.

»Passt Ihnen der Anzug oder soll ich ihn eine Num­mer grцЯer bringen?«

Es war eine peinliche Erinnerung. Auch jetzt noch, in der Erinnerung, fьhlte Eva die Scham und ihre eige­ne Unbeholfenheit.

»ScheiЯe«, sagte sie laut in ihr Zimmer.

Sie packte ihr Badezeug und lieЯ die Tьr hinter sich ins Schloss fallen. TьrenschmeiЯen, das tat sie gern, das war eigentlich das Einzige, das sie tat, wenn sie sauer war. Was hдtte sie auch sonst tun sollen? Schrei­en? Wenn man schon wie ein Trampel aussah, sollte man nichts tun, um aufzufallen. Im Gegenteil.

Als Eva aus dem Haus trat, schlug ihr die Hitze entge­gen, flimmerte ьber den Asphalt der StraЯe und brannte in ihren Augen. Fast bedauerte sie es schon, nicht in ihrem kьhlen, ruhigen Zimmer geblieben zu sein. Sie nahm den Weg durch den Park. Er war zwar ein bisschen lдnger, aber wenn sie unter den Bдumen ging, war die Hitze ertrдglicher.

Die Parkbдnke waren ziemlich leer um diese Zeit. Sie kam an den Bьschen vorbei, hinter denen sie ihren Heringssalat gegessen hatte. Sie betrachtete den Kies auf dem Weg. Er war gelblich braun und auch ihre nackten Zehen waren schon von einer gelblich braunen Staubschicht ьberzogen. Da rempelte sie mit jemand zusammen, stolperte und fiel.

»Hoppla!«, hцrte sie. »Hast du dir wehgetan?«

Sie hob den Kopf. Vor ihr stand ein Junge, vielleicht in ihrem Alter, und streckte ihr die Hand entgegen. Verblьfft griff sie danach und lieЯ sich von ihm beim Aufstehen helfen. Dann bьckte er sich und reichte ihr das Handtuch mit dem Badeanzug, das auf den Boden gefallen war. Sie rollte es wieder zusammen.

»Danke.«

Ihr Knie war aufgeschьrft und brannte.

»Komm«, sagte der Junge. »Wir gehen rьber zum Brunnen. Da kannst du dir dein Knie abwaschen.«

Eva schaute auf den Boden. Sie nickte. Der Junge lachte. »Na los, komm schon.« Er nahm ihre Hand und sie humpelte neben ihm her zum Brunnenrand.

»Ich heiЯe Michel. Eigentlich Michael, aber alle sa­gen Michel zu mir. Und du?«

»Eva.« Sie schaute ihn von der Seite an. Er gefiel ihr.

»Eva.« Er dehnte das »e« ganz lang und grinste.

Sie war durcheinander und das Grinsen des Jungen machte sie bцse. »Da gibt es nichts zu lachen«, fauchte sie. »Ich weiЯ selbst, wie komisch das ist, wenn ein Elefant wie ich auch noch Eva heiЯt.«

»Du spinnst ja«, sagte Michel. »Ich habe dir doch gar nichts getan. Wenn es dir nicht passt, kann ich ja wieder gehen.«

Aber er ging nicht.

Dann saЯ Eva auf dem Brunnenrand. Sie hatte ihre Sandalen ausgezogen und stellte ihre nackten FьЯe in das seichte Wasser. Michel stand im Brunnen drin, schцpfte mit der hohlen Hand Wasser und lieЯ es ьber ihr Knie rinnen. Es brannte und lief als brдunlich bluti­ge SoЯe an ihrem Schienbein hinunter.

»Zu Hause solltest du dir ein Pflaster draufmachen.«

Sie nickte.

Michel stakte frцhlich im Brunnen herum. Eva musste lachen. »Eigentlich wollte ich ja ins Schwimm­bad. Aber der Brunnen tut's auch.«

»Und kostet nichts«, sagte Michel.

Eva stampfte ins Wasser, dass es hoch aufspritzte. Sie bьckte sich und sprengte sich Wasser in das erhitzte Gesicht. Dann saЯen sie wieder auf dem Mдuerchen, das um den Brunnen herumfьhrte.

»Wenn ich Geld hдtte, wьrde ich dich zu einer Cola einladen«, sagte Michel. »Aber leider ...!«

Eva nestelte an ihrer Rocktasche und hielt ihm ein Fьnfmarkstьck hin. »Bitte, lade mich ein.« Sie wurde rot.

Michel lachte wieder. Er hatte ein schцnes Lachen. »Du bist ein komisches Mдdchen.« Er nahm das Geld und einen Augenblick lang berьhrten sich ihre Hдnde.

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